Die Geschichte der UNDINE
Der heutige Frachtsegelschoner UNDINE durchlief viele Jahrzehnte von ereignisreicher Geschichte, einer Vielzahl an wechselnder Eigentümer und damit einhergehenden Umbauten und Namensänderungen. Dennoch trotzte das Schiff immer allen Widrigkeiten, um heute wieder als Traditionssegler aufgebaut und unter Segeln in Fahrt gebracht zu werden.
Im Folgenden ist die Geschichte des Schiffes , aufgeteilt auf die verschiedenen Eigentümerschaften, dargestellt:
1931-1953 FRANZISKA (Franz Werner):
Die niederländische Werft „Gebr. Niestern“ in Delfzijl baute in der Zeit von 1930 bis 1931 eine Serie von sechs Küsten-Motorseglern für deutsche Küstenschiffer. Alle Schiffe wurden noch in konventioneller Rumpfform, jedoch mit für die damalige Zeit modernen Motoren und niedrigem Rigg gebaut. Als Referenz für die Schiffsform standen die Linien der „Groninger Schoner“, welche in der Zeit zwischen 1914 bis 1920 zu Dutzenden gebaut wurden.
Die Serie der sechs Schiffe unterteilte sich in zwei Typen:
- Drei Dreimastschoner von 230t mit den Bau-Nr. 185 - 187; und
- Drei Anderthalbmaster von 150t mit den Bau-Nr. 188 - 190.
Die Konstruktion und der Bau aller sechs Schiffe wurde beaufsichtigt und klassifiziert durch die Klassifikationsgesellschaft „Germanischer Lloyd (GL)“.
Der heutige Frachtschoner UNDINE wurde im Oktober 1931 mit der Bau-Nr. 189 unter dem Namen FRANZISKA fertiggestellt.
Angaben bei der Einfuhr nach Deutschland zufolge betrug der Wert des Schiffes damals 39.000 Gulden (= ca. 65.940 Mark).
Der Eigner, Kapitän Franz Werner aus Tornesch (bei Uetersen, nordwestlich von Hamburg), fuhr das Schiff mit einer Besatzung von 4-5 Mann unter der schwarz-weiß-roten Handelsflagge, später ab 1935 dann unter der Hakenkreuzflagge.
Die Segel wurden meist nur zur Unterstützung des 80 PS leistenden 3-Zylinder Bohn & Kähler 4-Takt-Motors genutzt, bzw., wenn dieser mal wieder komplett ausfiel.
1937 entschied sich Kapitän F. Werner zu einem Austausch des störanfälligen Antriebsmotors. Der neue Antriebsdiesel, ein 4-zylindriger Motor des Typs „4 M36“ der „Deutsche Werke Kiel AG“, leistete 120 PS bei einem Gewicht von 7,5t.
Da dieser neue Motor im Gegensatz zu seinem Vorgänger mit einer 6-Volt-Lichtmaschine ausgestattet war, konnte in dem Zuge auch die Beleuchtung mit Petroleumlampen auf eine elektrische Beleuchtung umgestellt werden.
Durch diese Leistungssteigerung des Antriebs war es nun möglich, auch noch bei deutlich schlechterem Wetter den Hafen verlassen zu können, wo andere „Windlieger“ noch auf Besserung des Wetters im Hafen blieben.
In den Jahren 1931 bis 1939 wurden mit der FRANZISKA Massengutladungen wie Steine, Kohle, Industrie- und Landwirtschaftsprodukte zwischen schwedischen, dänischen und deutschen Nord- und Ostseehäfen transportiert. Gelegentlich führten Reisen auch an die Ostküste Englands.
1938 charterte die Deutsche Reichsmarine die FRANZISKA für drei Monate, um sie einer Erprobung zur Nutzung als Marine-Hilfsschiff zu unterziehen. Dazu wurde das Schiff mit der Farbe Grau angemalt und mit einer taktischen Nummer am Bug versehen. Zur Installation von zwei Geschützen wurden Luken verstärkt, auf denen die Geschütze positioniert wurden. In dieser Zeit wurde das Schiff mit 14 Mann Besatzung gefahren.
Zwar wurde nach Ablauf der drei Monate Erprobung die FRANZISKA wieder zu einem zivilen Frachtschiff rückgebaut, doch nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde sie dem
„Reichsmarineamt Kiel" unterstellt und transportierte Proviant zwischen Kiel und Süd-Norwegen für den „Marineverpflegungsdienst Ost".
Als im Januar 1945 die Zivilbevölkerung vor den in Ostpreußen einrückenden russischen Truppen floh, bekam die FRANZISKA den Auftrag, 100t Mehl von Kopenhagen nach Pillau zu transportieren. Im Zuge der Massenflucht (am 30. Januar versenkte ein russisches U-Boot das Dampfschiff WILHELM GUSTLOFF, wobei über 9000 Flüchtlinge ihr Leben verloren) nahm die FRANZISKA im Hafen von Pillau hundert Flüchtlinge auf und brachte diese heil nach Swinemünde.
Aufgrund einer Beschädigung am Bug, verursacht durch einen Bombensplitter, wurde das Schiff nach Kiel beordert. Hier verbrachte sie die restlichen Kriegsmonate.
Im Zuge der Beschlagnahmung aller deutschen Schiffe durch die Alliierten und das Schifffahrtsverbot nach der Kapitulation des Deutschen Reiches lag die FRANZISKA zwischen August 1945 und April 1947 beschäftigungslos im Hafen von Uetersen.
Im Frühjahr 1947 wurde das Schifffahrtsverbot teilweise aufgehoben und die FRANZISKA durfte unter der Registrierungsnummer „X 2542" der Alliierten zwischen westdeutschen Häfen verkehren.
Nach der Währungsreform im Juni 1948 kam die Wirtschaft wieder in Schwung. Diese Gelegenheit nutzte Kapitän F. Werner und ließ die FRANZISKA auf der Werft „Kremer" in Elmshorn um ca. 6m verlängern. Damit erhöhte er die Tragfähigkeit des Schiffes um 50t auf nun 200t.
Später wurde auch das Rigg entfernt und somit das „Segelschiff mit Hilfsmotor" zum reinen „Küstenmotorschiff".
1950 übergaben die Alliierten die beschlagnahmten Schiffe wieder an ihre ursprünglichen Eigentümer zurück. Neben dem ursprünglichen Fahrtgebiet erweiterte sich dieses in Zeiten des Wirtschaftswunders um niederländische, belgische und polnische Häfen.
Seit 1947 fuhr der Sohn von F. Werner, Hans Werner, erst als Steuermann, später mit Patent als Kapitän auf der FRANZISKA.
1953 verkauften Franz und Hans Werner die FRANZSIKA, um mit einem größeren Küstenmotorschiff die gute Konjunktur zu nutzen.
Der neue Eigner, Rudolf Fischer aus Uetersen, war bereits mit dem Schiff bestens vertraut, denn er war seit einem Jahr bereits Steuermann auf der FRANZISKA.
Er übernahm 1953 das Schiff und taufte es auf den Namen PALMYRA.
1953-1958 PALMYRA (Rudolf Fischer):
Rudolf Fischer und seine Frau Hannchen Fischer wurden 1953 als Eigentümer der PALMYRA eingetragen, nachdem sie für das Schiff 120.000 Mark bezahlten.
Über die Zeit unter dem Schiffsnamen PALMYRA ist nicht allzu viel bekannt. Rudolf Fischer galt als sehr pingelig, somit kann davon ausgegangen werden, dass er 1958 das Schiff in einem sehr gepflegten und guten Zustand verkaufen konnte.
1958-1961 ANNELIES (Hans Knudsen):
Käufer der PALMYRA war 1958 der Glückstädter Fischdampfer-Kapitän Hans Knudsen. Er taufte seinen Neuerwerb für 150.000 Mark auf den Namen ANNELIES.
Im Gegensatz zu seinen Eigner-Vorgängern fuhr Hans Knudsen nicht selbst als Kapitän auf dem Schiff, sondern sah es als Geldanlage an und stellte als Kapitän einen Setzschiffer an. In dieser Zeit fielen viele Schäden wie Durchrostungen an, welche Platten- und vierzehn Spant-Erneuerungen zur Folge hatten.
Zudem störte sich Knudsen an der klassischen Stevenkonstruktion mit Galion, da sie in seinen Augen die Anlegemanöver verkomplizierte und veranlasste den Rückbau des Klüverbaums und den Umbau der Bugschürze hin zu einem praktischeren Steven.
1961-1966 GERD-UTE (Hansheinrich von Borstel):
1961 kaufte Hansheinrich von Borstel die ANNELIES für 105.000 Mark und benannte sie in GERD-UTE um.
Hansheinrich von Borstel entstammte einer Schiffer-Dynastie aus Gauensiek, einem Elbe-Hafen zwischen Stade und Wischhafen. Der Schiffsname lehnte sich an die Namen seiner beiden Kinder Gerd und Ute an.
Das Hauptfahrgebiet war auch hier wieder zwischen Dänemark und dem Ruhrgebiet. Nachdem Hansheinrich von Borstel eine Stelle zum Schadensgutachter bei der „Versicherungsgilde Unterelbe“ angeboten wurde, beendete er 1966 seine Seefahrtzeit mit dem Verkauf des Schiffes.
1966-1980 NORDSTRAND 1 (Richard Rottpeter):
95.000 Mark bezahlte Richard Rottpeter, um 1966 neuer Eigner der GERD-UTE zu werden. Da er von der Insel Nordstrand stammte, taufte er das Schiff auf NORDSTRAND 1.
Sein Fahrtgebiet beschränkte sich auf den Transfer von landwirtschaftlicher Ladung zwischen den nordfriesischen Inseln und dem Nordsee-Festland. In dieser beschränkten Küstenfahrt von bis zu 10 Std. Fahrtzeit reichte ihm eine Besatzung von 2-3 Personen, nämlich seine Familie (er selbst neben Frau und Sohn).
Da Rottpeter primär Schüttgut transportierte, ließ er das Ladegeschirr des Schiffes komplett entfernen, was zur Folge hatte, dass dank des Gewichtsentfalls die Tragfähigkeit um weitere 5t auf 210 t stieg. Nach all diesen Umbauten war vom ursprünglichen Frachtsegler nicht mehr viel zu erkennen.
1977 verkaufte R. Rottpeter die NORDSTRAND 1 an Herbert Bartels. Dieser beließ den Namen bei NORDSTRAND 1 und fuhr das Schiff mehr schlecht als recht mit fünf Zwischenfällen wie Kollisionen, Strandungen, Wegerechtsverletzungen, Ladungsschäden, etc. die nächsten drei Jahre. Im März 1980 endete diese Eigentümerschaft mit einer Zwangsversteigerung des Schiffes.
1980- 1998 UNDINE (Joachim Kaiser):
Die Zwangsversteigerung stellte einen Wendepunkt in der Geschichte des Schiffes dar. Zu einem Mindestgebot von 15.298,79 DM ersteigerte Kapitän Joachim Kaiser, Segelschiffsexperte und Mitgründer des Museumshafens Oevelgönne, das mittlerweile ziemlich völlig runter gewirtschaftete Schiff.
Sein Plan war, das restaurierte Schiff für sozialpädagogische Gruppenarbeit mit Jugendlichen einzusetzen, die sich in schwierigen Lebenslagen befanden. Auf sechsmonatigen Segelreisen mit den Jugendlichen sollte Ladung transportiert werden, um den Reisen mehr Sinnhaftigkeit zu geben, begleitet von zwei Pädagogen.
Hierzu wurde das nun in UNDINE umbenannte Küstenmotorschiff auf die „Glückstädter Binnenschiffswerft“ geholt und in der Zeit bis Juli 1984 wieder bestmöglich in Originalzustand des Frachtseglers zurückgebaut und restauriert.
Die Rumpfverlängerung wurde wieder herausgenommen und schadhafte Rumpfteile erneuert. Zwar wurde nicht genietet, wie im Original, sondern geschweißt, dennoch unter Berücksichtigung der originalen Plattenverläufe.
Das Schanzkleid wurde erneuert und die begradigte Stevenform wieder zurückgebaut auf die ursprüngliche klassische Stevenform mit Klüverbaum. Die Aufbauten wurden restauriert und vorne ein Teil des Laderaums so umgebaut, dass für die neue Verwendung eine 8-Mann-Logis für die Jugendlichen, eine 2-Mann-Kammer für die Pädagogen und eine Nasszelle entstanden.
Der Balkenkiel, bereits ziemlich in Mitleidenschaft gezogen, musste komplett erneuert werden. Da die Tragfähigkeit des Schiffes nicht mehr im Fokus stand und sowieso mit Ballast gefahren werden musste, wurde ein neuer 8t-Kiel über die gesamte Schiffslänge verbaut. Der „Deutsche Werke“-Antriebsdiesel wurde komplett zerlegt, ausgebaut und von einer Motorenspezialfirma wieder instandgesetzt. Abgesehen vom Schiffs-Wendegetriebe, welches nicht mehr zu retten war und nun durch ein hydraulisches Reintjes-Getriebe ersetzt wurde, entsprach nun die Antriebsanlage wieder dem Originalzustand von 1937.
Anfang 1984 wurde aufgeriggt und nach erfolgter Probefahrt unter Aufsicht des Germanischen Lloyd und der See-Berufsgenossenschaft die Fahrerlaubnis mit einer Tragfähigkeit von noch 60t erteilt.
Mit Joachim Kaiser als Kapitän wurde die UNDINE an den Verein „Sozialarbeit und Segeln e.V.“ verchartert, welcher sich um die Besetzung mit Sozialpädagogen und Jugendlichen kümmerte.
Die erste Reise ging, jetzt wieder unter Segeln und beladen mit Brennholz, in Richtung Irland. Weitere Fahrten nach Dänemark, Norwegen, Finnland, aber auch in den Süden nach Frankreich und Portugal folgten, immer wieder mit Ladungen wie Brennholz, Katzbuckelsteine oder Meersalz, auf denen die Jugendlichen neben Seemannschaft auch ein geregeltes Arbeitsleben erlernten.
Nach sieben Jahren geriet der Verein „Sozialarbeit und Segeln e.V.“ in eine Krise. Der für diesen Zweck neu gegründete Verein „Gangway e.V.“ führte mit einem optimierten Konzept die bisherige Arbeit fort und wurde neuer Charterer der UNDINE.
1998-2013 UNDINE (Gangway e.V.):
1998 verkaufte Joachim Kaiser die UNDINE direkt an den Verein „Gangway e.V.“, der bereits 1992 um die Arbeit auf und mit der UNDINE herum von engagierten Menschen gegründet wurde und das Projekt weiter bis über das 25-jährige Jubiläum in 2009 hinaus betrieb.
Ziel war es, Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen mit innovativen Konzepten Chancen für eine nachhaltige Perspektive zu eröffnen. Über das gemeinsame Leben und Arbeiten an Bord lernten die Jugendlichen sich selbst neu kennen als Menschen mit vielfältigen Fähigkeiten und Stärken und erhielten zugleich als gemusterte Decksleute eine nautische Grundausbildung und damit eine Option auf eine berufliche Perspektive (im Hafen, auf Binnen- oder Küstenmotorschiffen etc.). Neben der Arbeit war die Schule fester Bestandteil des Tagesablaufes. Wieder an Land wurden die Jugendlichen bis zum Schulabschluss und bei Bedarf darüber hinaus weiter begleitet.
Das Konzept wurde über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt und an die Veränderungen in der Jugendhilfe angepasst. Unter anderem strukturelle Änderungen in der Hamburger Sozialarbeit bedingten in den Folgejahren, dass der Verein „Gangway e.V.“ den Frachtschoner UNDINE trotz langjähriger und erfolgreicher sozialpädagogischer Arbeit mit Jugendlichen nicht weiterführen konnte.
2013 -2016 UNDINE (Torben Hass):
In 2013 übernahm der neue Eigentümer Torben Hass für 300.000€ Kaufpreis in Form einer Anzahlung und regelmäßiger Ratenzahlungen an „Gangway e.V.“ die UNDINE.
Selbst auf der GORCH FOCK gesegelt, war Torben Hass Verfechter der kommerziellen Frachtschifffahrt unter Segel und hatte das Ziel, auf regelmäßigen Fahrten zwischen Hamburg und Sylt Fracht und zahlende Passagiere zu transportieren.
Im Februar 2013 absolvierte die UNDINE unter der Flagge der „Hamburg-Sylt-Linie“ ihre erste Reise von Hamburg nach Hörnum.
Transportiert wurden Baustoffe, Kaminholz und Lebensmittel vom Festland auf die Insel. Nur zeichnete sich im Laufe der Zeit ab, dass Ladungen für die Rücktouren von der Insel zurück ans Festland fehlten.
Nachdem dann auch noch diverse technische Probleme einen Werftaufenthalt mit größeren finanziellen Belastungen nach sich zog, blieben die vereinbarten Ratenzahlungen an den Verein aus. Dies hatte zur Folge, dass die UNDINE im Winter 2014 in Husum an die Kette gelegt wurde. Zwar bekam Torben Hass das Schiff dank einer Crowdfunding-Initiative und einigen Frachtverträgen wieder frei, dennoch scheiterte das Geschäftsmodell dann an den Forderungen der Berufsgenossenschaft nach einer größeren Besatzung.
Nach einer Insolvenz wurde die UNDINE dann im Mai 2016 erneut im Harburger Hafen festgesetzt und anderthalb Jahre lang nach einem Käufer gesucht.
2017 – heute UNDINE (Stiftung Hamburg Maritim):
2017 übernahm die „Stiftung Hamburg Maritim“ die UNDINE aus der Konkursmasse heraus, bevor es zu einer Zwangsversteigerung kam.
Das Ziel der „Stiftung Hamburg Maritim“ mit der UNDINE ist:
- der Erhalt eines „typischen Küstenfahrers mit Hamburger Geschichte“; und
- die Perspektive, die UNDINE als Traditionsschiff für Ausfahrten mit Gästen zu nutzen.
2019 gründete sich der Betreiberverein „Freunde des Frachtschoners UNDINE e.V.“ zur tatkräftigen Unterstützung bei der Restaurierung und zum späteren Betrieb des Schiffes.
Im Januar 2023 endete ein erster Werftaufenthalt zur Instandsetzung der Stahlarbeiten am Rumpf. Am 16.06.2023 wurde nach intensiven Überarbeitungen der Antriebsdiesel wieder erfolgreich in Betrieb genommen und das erste Mal gestartet.